Hinter einfachen Behausungen taucht der Gebäudekomplex Wangjing Soho auf. Unwirklich wie eine Fata Morgana und im Kontrast zum Lebensumfeld auf dieser Seite des sandigen Feldes. Aber auch im Kontrast zu den benachbarten Firmensitzen von Daimler, Microsoft und anderen Unternehmen. Die Gestalt der Soho-Gebäude verabschiedet sich von den traditionellen und noch immer aktuellen kubischen Formen. Sie erinnern an in der Landschaft liegende – oder stehende – Kieselsteine. Formen, die neu sind in der Architektur und trotz ihrer Anmut gewaltig.
Die aus dem Irak stammende britische Architektin Zaha Hadid wurde einmal dafür kritisiert, dass ihre Formensprache die Funktion und den Ort überdecken würde, in dem die Gebäude stehen. Aber kann nicht auch die Form prägend sein für den Ort und diesen entwickeln?
Ja, die Kieselsteine wirken fremd. Aber sie wirken hier nicht fremder als in Tokio oder New York. Und Peking hat sich zu einem wichtigen Ort für zeitgenössische Architektur entwickelt.
Beim Näherkommen werden die Kieselsteine zu Findlingen und schließlich zu ausgewaschenen Felsen.
Auf der von den drei gewölbten Türmen umgebenen Plaza werden die Betrachter*innen in ein optisches Liniengewirr gezogen. Helle Streifen, die die dazwischen liegenden Fensterreihen voneinander absetzen, werden mal breiter und wieder schmaler und scheinen sich im nächsten Turm wiederzufinden, während sich dieser im ersten spiegelt. Ein visuelles Erlebnis aus Glas, Stein und Aluminium.
Der höchste Turm ist 200 Meter hoch. Die unteren drei der bis zu 37 Stockwerke dienen der kommerziellen Nutzung: Läden, Cafés und Dienstleister. Die Planer*innen waren bestrebt, einen Ort zu schaffen, der auf seine Umgebung ausstrahlt und diese einbezieht.
Das äußere Design von Wangjing Soho schwingt im Inneren weiter. Säulen, Gänge, Licht und Möbel nehmen die Schwünge des Äußeren auf, führen sie fort und entlassen sie an anderer Stelle wieder.
In einem Interview sagte der Projektleiter von Wangjing SOHO, der in Japan geborene und den USA aufgewachsene Architekt Satoshi Ohashi: Obwohl die Menschen wissen, dass es ein modernes, neues Gebäude ist, spüren sie etwas, das menschlicher oder greifbarer ist. Und Ohashi sagt, dass sich China 2008 mit den olympischen Spielen weiter geöffnet habe und setzt dies in Bezug zur Architektur von Zaha Hadid: Die Leute nennen es experimentell, aber ich denke nicht unbedingt, dass es experimentell ist. Es ist Teil des Zustands und der Dynamik, die jetzt passieren.
Welche Dynamik ist das und welche Menschen sind es, die hier neben den Büroangestellten verkehren? Im Café kostet ein Stück Kuchen umgerechnet etwa fünf Euro – wer zahlt das für ein Stück Kuchen? Ist das die neue Mittelschicht, die sich in China entwickelt? Seit der Jahrtausendwende sind in China doppelt so viele Menschen in diese sogenannte Mittelschicht aufgestiegen wie in den USA. Eine Schicht, die darüber definiert wird, dass sie über ein Privatvermögen zwischen 50.000 und 500.000 Dollar verfügt. Den Chines*innen, die Wangjing SOHO besuchen, scheint es wichtig zu sein, sich als Teil der vermögenden Mittel- oder Oberschicht zu zeigen.
Wir gehen in ein Café und sehen dort, wie eine Mutter ihrer Tochter gerade ein Eis kauft. Das Kind hat schon einen Luftballon und einen Drachen, den die Mutter jetzt hält, damit das Kind das Eis essen kann. Es ist vielleicht ein besonderer Tag, vielleicht der Geburtstag des Mädchens? Es ist aber auch ein Symbol der – inzwischen aufgehobenen – Ein-Kind-Politik und dafür, dass die (Einzel-) Kinder der Mittel- und Oberschicht wie kleine Prinzessinnen und Prinzen aufwachsen.
Hier zeigt sich ein neues China, das mit unseren Vorstellungen von preiswerten China-Restaurants und Billigware Made in China nichts mehr zu tun hat.