Reisebericht Nordkorea | 5

April 2017

Kooperative in Wonsan

Heute fahren wir von Pjöngjang Richtung Osten zur Stadt Wonsan und besichtigen dort eine landwirtschaftliche Kooperative. Da wir über Nacht bleiben, beziehen wir ein Hotel am Ostmeer. Die Stadt Wonsan sehen wir hauptsächlich aus der Perspektive unseres durchfahrenden Busses.

Der Blick aus dem Fenster fällt am frühen Morgen des fünften Tages wieder auf das diesige Pjöngjang. Nebel, Regen, Trübnis. Und der Regen hört während unserer Fahrt nach Wonsan nicht wirklich auf. Es gibt Pausen, aber die Luft ist permanent mit Wasserpartikeln gesättigt.

Während wir durch die Landschaft fahren, gibt es wieder angeregte Gespräche. Song San spricht den deutschen Außenminister an und dass dieser doch homosexuell sei. Nein, sagt Ralf, der jetzige nicht, sondern sein Vorvorgänger, Westerwelle, der war offen schwul. Ja, und der hat doch auch gesagt Ich bin schwul, und dass ist auch gut so warf Song San ein. Das war Wowereit, berichtigt Maike, der ehemalige Bürgermeister von Berlin. Es ist interessant, dass unser Reiseleiter dieses Thema anspricht.

Wir sprechen dann über Homosexualität in Nordkorea und Song San sagt zunächst, dass es das in Nordkorea nicht gibt. Es dauert eine Weile, bis er sagen kann, dass es auch in Nordkorea Lesben und Schwule gibt. Wir waren positiv überrascht, dass er letztlich so offen mit uns darüber reden kann.

Die Landschaft wird zunehmend gebirgiger. Ich hatte gelesen, dass in diesen Bergen enorme Bodenschätze lagern: neben Gold und Silber andere wertvolle Metalle und seltene Erden. Noch fehlt dem Land die Technologie, die Schätze zu heben. Aber in der Überlegung einer möglichen Wiedervereinigung und den befürchteten Kosten sind die Bodenschätze ein wichtiger Faktor, da hier nicht nur Kosten entstehen, sondern auch Ressourcen warten.

Wir fahren an Ortschaften vorbei, die uns unbekannt bleiben. Jede Fläche rund um die Orte wird landwirtschaftlich genutzt. Insgesamt sind in Nordkorea wegen der Fülle an Hügeln und Bergen nur 17 % der Fläche landwirtschaftlich nutzbar. Daher muss jeder Winkel genutzt werden. Trotz dieser intensiven Nutzung ist es notwendig, wichtige Güter zu importieren, so etwa 20% des benötigten Getreides. Und hier ist Nordkorea auf Devisen angewiesen, die oft fehlen. Zum traditionellen Reisanbau, der sich an der Westküste konzentriert, wird hier zunehmend der Anbau von Mais und Kartoffeln gefördert. Die Kartoffel ist äußerst nahrhaft, kann sich gut dem Klima anpassen und in Anbaupausen zwischen Reis und Weizen kultiviert werden.

Die Wolken hängen weiter in den Bergen und scheinen uns einen verregneten Tag zu bescheren. Aus dem Auto heraus hat diese Perspektive eine gewisse Idylle, doch verleitet es nicht zum Aussteigen.

Außerhalb von Wonsan besuchen wir eine bäuerliche Kooperative

Wonsan liegt am Japanischen Meer, oder, wie die Nordkoreaner sagten, am Koreanischen Ostmeer. Wir fahren zunächst durch die Stadt hindurch, um zu einem Museumsbahnhof zu fahren und eine landwirtschaftliche Kooperative zu besichtigen.

Im Museumsbahnhof steht die Eisenbahn, mit der Kim Il Sung im September 1945 nach der Kapitulation Japans in Nordkorea eingereist sein soll. Andere Quellen sprechen davon, dass er mit dem Schiff nach Wonsan kam und mit dieser Eisenbahn weiter nach Pjöngjang gefahren ist.
Da es damals  noch keine koreanische Produktion gab, war es eine japanische Lok die einige russische Waggons zog. In einem der Waggons ist ein Platz markiert, auf dem der Staatsgründer gesessen haben soll.
Für Nordkorea war jeder Ort und jede Gegebenheit, die mit dem Leben Kim Il Sungs in Verbindung stand, wichtig und verehrungswürdig. Hier wurden zudem ein Ort und ein Symbol geehrt, die für den Aufbruch und den Neubeginn stehen.

Außerhalb von Wonsan besuchen wir eine landwirtschaftliche Kooperative. Die Frau, die uns über das Gelände führt, hat einen Regenschirm dabei, doch zum Glück blieb es trocken. Sie erzählt, dass hier 1600 Menschen leben, darunter 300 Bäuer*innen. Die dörfliche Struktur des Kollektivs beschäftige daneben Menschen für die Verarbeitung der Produkte und für Dienstleistungen an der Gemeinschaft.

Auf einer Tafel sind die Verdienste der Kooperative verzeichnet und es werden Einzelne für besondere  Leistungen hervorgehoben. Der Mensch braucht die Anerkennung und wenn diese nicht durch einen guten Verdienst und der damit möglichen materiellen Besserstellung sichtbar wird, müssen andere Wege gegangen werden. Auf dem Gelände sind immer wieder Bilder und Texte zu finden, die die Menschen in ihrer Arbeit motivieren sollen. Die Frage entstand, wie lange wohl solche Aufforderungen und Ermutigungen tragen und die eigene Trägheit überwinden helfen. Das Kollektiv funktioniert letztlich nur, wenn ihre Mitglieder es wollen und Einsicht in die Notwendigkeiten haben.

An einem Ochsenkarren, der an uns vorüber fährt, sehen wir, wie einfach das Leben hier ist. Zudem veranschaulichen die abgemagerten Ochsen, dass Futter fehle. Auch wenn die Landwirtschaft gut organisiert ist, fehlt die technische Infrastruktur, um effektiver zu sein. Wir sehen auch Traktoren, aber diese sind technisch veraltet. Dazu kommen klimatische Besonderheiten wie lange Regenzeiten, kalte Winter und eine lange Trockenzeit im Frühjahr, die einen kontinuierlichen Ackerbau erschweren.

Ein Wandgemälde auf dem Gelände zeigt Kim Il Sung und Kim Jong Il neben einem Bauernpaar in einem endlos scheinenden Getreidefeld. Hier ist die Welt in Ordnung, der Ernteertrag steht außer Frage und die Menschen sind glücklich und zufrieden. Landwirtschaft im Postkartenidyll.

Im Badehaus gibt es einen kleinen Kiosk mit Dingen, die die Landwirtschaft nicht produziert: Bonbons, Limonaden, Feuerzeuge und Zahnbürsten. Die Auslage ist überschaubar und animiert uns nicht zum Kauf. Wir wissen auch nicht, ob wir hier mit Euro oder Chinesischen Yuan bezahlen können. Der Besitz von Nordkoreanischen Won ist uns nicht gestattet. Wir dürfen noch nicht einmal sehen, wie sie aussehen.

Unserer Führerin erzählt, dass die Aufzucht von Kakibäumen ein Schwerpunkt dieser Kooperative ist. Jetzt im Frühjahr ist von den großen orangen Früchten noch nichts zu sehen; noch nicht einmal eine Blüte, aus der sie erwachsen könnten. Eine Tafel lobt die Zucht und den Ertrag der Kaki.

Die Gruppe, die wir im Kindergarten besuchen, spielt auf dem Hof. Die Kinder wirken in ihrer einfachen, farbenfrohen Kleidung authentischer als Kinder in der kapitalistischen Welt, die viel mehr den verschiedensten Moden unterworfen sind. Die Mädchen und Jungen wirken auch zufrieden und gut genährt. Vielleicht wuchs hier eine neue Generation heran, denen es besser ging, als den Eltern.
Die Kinder spielen mit uns ein Staffellauf-Spiel. Es machte Spaß, aber ich habe sofort die Vorstellung, dass dies mit allen Gästen veranstaltet wird und diese Vorstellung  trübte mein Vergnügen. Werden die Kinder nicht benutzt, um die Gäste emotional zu erreichen?

Die Räume des Kindergartens besuchen wir nicht. Als wir weiter gehen, steht eine Gruppe jüngerer Kinder auf dem Balkon und winkt uns zum Abschied. Ihre Erzieherin sieht mit ihrer Tracht eher wie eine kirchliche Krankenschwester aus.

Zum Abschluss unseres Rundgangs zeigt uns die Frau, die uns über das Gelände geführt hat, ihr Haus. Ihr etwa zehnjähriger Sohn wartet schon auf uns und begrüßte uns auf Englisch. Das Haus ist einfach und es gibt nur wenig Einrichtungsgegenstände. Ich frage den Jungen, ob ich von ihm und seiner Mutter ein Foto machen darf. Ja, das war ok und sie stellen sich im Wohnzimmer unter die Fotos der beiden Kims. Ob diese in jedem nordkoreanischen Wohnzimmer an der Wand hängen?
Hier hing noch ein anderer Bilderrahmen mit Fotos. Der Sohn erzählt, dass darauf sein Vater zu sehen ist, der verstorben war und sein älterer Bruder, der jetzt beim Militär ist.
Die Mutter hat im Kollektiv die Aufgabe, Gäste über das Gelände zu führen.
Unter den wenigen Möbeln in der Wohnung sind ein Sofa, ein Bücherregal und ein großer Wandschrank. Auf einem Sideboard  steht ein mit einer Spitzendecke zugedeckter Fernseher.

Als unsere kleine Gruppe die Wohnung verlässt, bemerkt der Sohn nicht, dass ich noch im hinteren Teil der Wohnung bin und etwas verzögert die Wohnung verlasse. Dadurch sehe ich, wie er gleich, nachdem er uns verabschiedet hatte, ins Wohnzimmer läuft, die Decke vom Fernseher nimmt und das Gerät anstellt. Hier kann man sehen, dass doch alle Kinder auf der Welt ähnlich sind. Wahrscheinlich musste er das Gucken einer Sendung unterbrechen, als wir ins Haus kamen, oder die Mutter erlaubte ihm immer dann Fernsehen zu gucken, wenn die Besucher*innen gegangen sind.

Um das Haus befindet sich ein sogenannter Küchengarten. Die ist eine Anbaufläche von 100 Quadratmetern, die jeder Familie zur Verfügung gestellt wird. Auf diesen Flächen ist es den Besitzer*innen gestattet, Gemüse und Obst für den eigenen Bedarf anzubauen und den etwaigen Überschuss auf Märkten zu verkaufen. Dieser private Handel ist gewollt, da er hoch produktiv ist und so der Ernährung der Gesamtbevölkerung dient. Die Erkenntnis, dass privat genutztes Land effektiver genutzt wird, wird bisher aber nicht ausgedehnt.

Unser Hotel liegt am Ostmeer

Nach dem Besuch der Kooperative fahren wir zu unserem Hotel in Wonsan. Da wir morgen noch Einrichtungen in der Gegend besuchen wollen, übernachten wir in dieser mit 330.000 Einwohner*innen sechstgrößten Stadt des Landes.
Das Tongmyong Hotel hat nicht den Standard vom Yanggakdo in Pjöngjang, ist aber durchaus in Ordnung. Es hat acht oder neun Stockwerke und in dem oberen hat man einen Rundumblick auf die Stadt und das Meer.
Ralf und ich bekommen ein großes Zimmer. Ich würde hier nicht von einer Suite sprechen, es hat aber zwei Räume und einen tollen Ausblick.

Ein schmückender Wandkalender zeigt Bilder, wie man Fleisch anrichtet und auf dem Flachbildfernseher können wir nordkoreanische Sender empfangen. Ein Phänomen ist die Nachrichtensprecherin: Sie beginnt eine neue Nachricht in normalem Ton, steigert dann aber ihre Stimme von Satz zu Satz, bis sie vollkommen euphorisch und übersteigert redet. Ihre Stimme wird extrem hoch und schnell und man bekommt zunehmend Sorge, sie bricht gleich hyperventilierend zusammen.

Aus unserem Zimmer und von der oberen Etage des Hotels können wir die Bucht und die darin liegenden Schiffe sehen. Die traditionellen Holzboote verbreiten ein romantisches Ambiente, die geringe Motorisierung schafft aber –  ähnlich wie beim Ackerbau – Probleme beim Erreichen notwendiger Erträge. Wahrscheinlich ist diese Methode ökologisch viel sinnvoller, doch in der globalisierten Wirtschaft zählt dies leider nicht.

Nordkorea muss nicht nur für die eigene Bevölkerung sorgen, sondern auch von seinem Überschuss ins Ausland verkaufen, um Devisen für andere Güter zu erhalten. Zu diesen Überschüssen gehören sicher die Fischgründe in den das Land umgebenden Meeren.
Am Ende der Bucht sehen wir einen langen Sandstrand. Wonsan ist ein beliebter Badeort für Einheimische und bei entsprechenden Temperaturen soll es hier auch ausländischen Gästen gestattet sein, im Meer zu baden. Diese Temperaturen fehlen heute eindeutig.

Song San fragt uns, ob wir noch eine Insel in der Bucht oder lieber die Stadt besichtigen wollen. Wir entscheiden uns für die Stadtbesichtigung und fahren zu einem großen Platz. Das zentrale Gebäude ist eine Behörde oder – so wie in Pjöngjang – eine Volkshochschule nebst Bibliothek. Auf der linken Seite steht ein Warenhaus, das mich faszinierte. Mit den schmalen, hoch gefassten Scheiben in umlaufenden Fensterfriesen erinnerte das Gebäude an die Bauhaus Architektur. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die abgerundete Fassade.

Ansonsten ist Wonsan nicht besonders spektakulär. Wir hören, dass sich die einstige Industriestadt langsam zu einer Touristenstadt entwickelt. Da wir aber weder Industriegebäude noch  Freizeiteinrichtungen sehen, ist es für uns nicht nachvollziehbar. Die von Ralf und mir in anderen Ländern praktizierte Erkundung von Stadträumen ist hier einfach nicht möglich. So bleiben einzelne, mehr oder weniger zufällige Blicke.

Unter diesen Zufall fällt eine Ladenpassage. In dieser Form haben wir Läden in Pjöngjang noch nicht gesehen. Es scheinen Läden zu sein, wie wir sie aus jeder Stadt kennen: Kleidung, Fahrräder und Dinge des alltäglichen Bedarfs. Aber wir steigen nicht aus und müssen auf einen Bummel verzichten.
Die Aussagen, die über Wonsan gemacht werden, sind gegensätzlich. So heißt es einerseits, dass der Bau von Hochhäusern der Hafenstadt ein Ambiente geben soll, dass dem von Hongkong entspricht. Andererseits soll es Anweisungen von der Führungsspitze geben, dass die Einwohnerzahl zu begrenzen sei, um den Freizeitcharakter der Stadt zu fördern.

Nur aus den Augenwinkeln sehen wir ein Schiff, das auf den Hafen verweist. Doch auch der Besuch des Hafens stand nicht auf unserem Besuchsprogramm und ist daher nicht möglich. Da er nicht nur als Fischereihafen dient, sondern auch ein bedeutender Marinestützpunkt ist, ergibt sich wahrscheinlich daraus die Erklärung, das wir den Hafen nicht besichtigten.

Nach dem Monument der Führer war Zeit zum Fernsehen

Besichtigen können wir die bronzene Doppelstatue von Kim Il Sung und Kim Jong Il . Wir hatten gelernt, uns gebührlich zu benehmen und uns zur Verbeugung in einer Linie aufzustellen. Das Monument entspricht dem in Pjöngjang, ist hier aber kleiner und erst 2013 errichtet worden.

Nach dem Abendessen fahren wir ins Hotel. Wir haben uns noch mit Maike und Song San zum Tischtennis verabredet, was dann aber doch nicht stattfindet. Eigentlich sind wir auch geschafft und können es genießen, mal eine Stunde eher im Zimmer zu sein um Fotos zu sortieren und Tagebuch zu schreiben.

Im Fernsehen wird derweil die Parade zum 105. Geburtstag von Kim Il Sung übertragen, die Vorgestern in Pjöngjang stattgefunden hat. Jetzt sehen wir, wie die Massen mit ihren pinken und gelben Puscheln Formationen bilden, die verschiedene Texte und Zeichen ergeben. Innerhalb von Sekundenbruchteilen ändern sich die Ansichten. Es ist perfekt einstudiert.

Auf der Tribüne steht Kim Jong Un, um die Parade abzunehmen. Am Tag der Parade hatte ich Song San gefragt, ob der Marschall denn auch kommen wird. Er sagte, dass man dies im Vorfeld nicht wisse und auch nie genau sagen könne.

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