Serbien: Belgrad

Oktober 2023

Belgrad, die Hauptstadt Jugoslawiens, die Hauptstadt Serbiens, der Regierungssitz Titos, der die Länder durch Empathie und Verhandlungen verbündete und der Regierungssitz von Milošević, der Länder des ehemaligen Jugoslawiens durch Krieg und Unterdrückung an Serbien binden wollte. Dann wurde es der Regierungssitz von Zoran Đinđić, der Milošević vor den Strafgerichtshof in Den Haag brachte und der zwei Jahre später auf offener Straße erschossen wurde. Und es ist der jetzige Regierungssitz von Aleksandar Vučić, der schon Minister unter Milošević war und wieder bemüht ist, den Kosovo zu vereinnahmen. Belgrad, eine europäische Millionenmetropole zwischen Politik, einer alten Heldenverehrung und einer jungen Moderne.

Den historischen Kern Belgrads bildet die aus dem dem 15. Jhd. stammenden Festung, auf deren Gelände heute u.a. Panzer präsentiert werden. Vom Festungsgelände haben wir einen Blick auf den Zusammenfluss der Save mit der Donau, die die Stadt umfließen. Mit uns blickt der „Pobednik“ von einer Säule, eine Figur zu Ehren des Sieges gegen die Türken und eine serbische Kultfigur des Triumphes der siegesreichen Nation.
 
Das zu einem Caféhaus umgebaute erste Warenhaus Belgrads zeigt eine andere Stadt. Hier treffen sich junge, hippe Leute und verbringen ihre Zeit mit einem Latte Macchiato vor dem Laptop oder in Gespräche vertieft. Das Café ist cool zwischen Retro-Chick, Modernität und Gemütlichkeit. Auch ansonsten bietet Belgrad sehr viele und immer gut besuchte Cafés, Bars und Restaurants. Und es muss nicht immer die Jugend sein, die sich hier wohlfühlt.
 
Belgrad spart nicht mit großen Kirchenbauten, mit Bauten der orthodoxen Kirche. Ganz schön mit hellem und rotem Stein ist die Kirche des Heiligen Markus. Der Dom des Heiligen Sava ist dagegen sehr bombastisch und einer der größten orthodoxen Kirchen überhaupt. Drinnen glänzt ein riesiger Hallenbau mit goldenem Mosaik. Eine Halle mit Platz für 12000 Gläubige. Alle orthodoxen Kirchen sind nicht bestuhlt – wahrscheinlich hat sich mit dem Stehen schon ein Teil der notwendigen Buße erledigt.
 

Unsere Air BnB Wohnung liegt direkt in der Innenstadt und so wandeln wir öfter die Fußgängerzonen rauf und runter. Es gibt die üblichen internationalen aber auch einige lokale Geschäfte in schönen Gebäuden. Auffällig sind die hohe Anzahl von Buch- und Schuhläden. In den ehrwürdigen Gebäuden stoßen wir auch auf die eine oder andere Galerie und sehen etwa eine große, beeindruckende Ausstellung des serbischen Künstlers Mica Popovic. Durch die Stadt flitzen immer wieder Fahrrad-Kuriere von Wolt, die hier gemeinsam auf die nächsten Aufträge warten.

An der Milosa Straße stehen die von der Nato bei einem Angriff 1999 während des Kosovo-Krieges zerstörten Gebäude des Verteidigungsministeriums und des Generalhaupquartiers der jugoslawischen Armee. Auf einem großen, jetzt zum Teil abgerissenen Transparent kann man noch lesen: ….kennt keine Angst. Und: …geht voran. Mit einer selbstbewusst und unbeirrbar dreinblickenden Soldatin. Auf einem in der Nähe aufgestelltem Gedenkstein steht: Зашто? = Warum? Eine Antwort könnte sich bei dem wieder aktuellen Konflikt mit dem Kosovo finden lassen.

Relativ neu ist die Gestaltung des Save-Ufers zu einer exklusiven Wohn- und Ausgehmeile, der Waterfront. Vor der Bebauung gab es Proteste, da ein altes Viertel abgerissen wurde. Jetzt wandeln die Menschen entlang des Ufers und am Abend wird alles hübsch illuminiert – die Brücke in den Farben der serbischen Flagge. Nationalismus geht immer (noch).
 
Vor dem Friedhof hängt ein Transparent mit dem Hinweis: Open Air Museum. Es sollen wohl mehr Leute animiert werden, den Friedhof zu besichtigen. Nun, wir guckten schon immer gerne auf Friedhöfe, da es geschichtlich interessant ist. Hier auf dem Friedhof gibt es viele Fotos und Skulpturen und man könnte sich Geschichten und ganze Romane zu ihnen denken. Auf dem jüdischen Friedhof haben wir das Grab von Simon Herzl entdeckt, dem Großvater von Theodor Herzl, einem der Hauptvertreter des Zionismus – ein gerade ja wieder dramatisches Thema.
 

In der Stadt treffen wir immer wieder auf Wandgemälde. Es gibt politische Aussagen oder auch welche zum Wohlfühlen, wie der Großvater mit Kind und Smiley. An vielen Wänden gibt es große Porträts in Schwarz-Weiß. Diese sind für verstorbene Freund*innen oder verehrte Personen gemacht worden. Bei dem Frauenporträt steht: Du bist nicht gestorben, du bist in jeden von uns eingezogen. Und bei dem Mann heißt es: Mein Geist geht jetzt frei, du wirst ihn auf der Straße nach Süden sehen.

In der Neustadt von Belgrad – Novi Beograd – steht ein bekanntes und oft zitiertes Gebäude: der Genex-Turm. Ein im Stil des Brutalismus (von frz. brut = roh, nicht von brutal) Ende der 1970er Jahre gebautes Hochhaus. Ein Teil des Hauses wird nicht mehr bewohnt und ist mit Reklame verhangen. Als wir dort sind, wird gerade ein Film im Stil der 70er Jahren gedreht (siehe die Autos) und so ist ein Teil des Gebäudes weitläufig abgesperrt. Die Filmaufnahmen führen aber auch dazu, dass der andere Gebäudeteil offensteht und wir auf die 36 Stockwerke höher gelegene Dachterrasse kommen. Von hier haben wir u.a. durch ein rundes Fenster einen Ausblick auf Novi Beograd mit seinen Hochhaussiedlungen.

Auf dem Genex-Turm steht die große Reklameschrift „Zepter“. Es steht für die Firma „Zepter International Group“, gegründet und geleitet von dem serbischen Geschäftsmann Phillip Zepter. Und wir sehen überall in Belgrad den Namen „Zepter“: Hotels, Banken und Geschäfte. Während Phillip Zepter Sportclubs und Veranstaltungen sponsert, engagiert sich seine Frau Madlena Zepter für die Kunst: Oper, Theater und bildende Kunst. In der Fußgängerzone gehen wir ins „Muzej Zepter“, ein großes Ausstellungshaus mit moderner und zeitgenössischer jugoslawischer bzw. serbischer Kunst.

Die Menschen prägen ein eher gemütliches Straßenleben. Es gibt auch viele Parks und die Bänke sind meistens besetzt. Das Leben hier erinnert uns eher an Süd- als an Osteuropa und die Szenen könnten sich auch in Mailand oder Madrid abspielen. Geige spielende Menschen sehen wir nicht nur in der Fußgängerzone, sondern sehen oft Leute, die mit einem Geigenkasten unterwegs sind. Dies scheint ein beliebtes und viel gespieltes Instrument in Serbien zu sein.
 
Wir bewegen uns in Belgrad viel zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Es gibt Busse, Minibusse, Trolleybusse und Straßenbahnen. Besonders die Straßenbahnen sind wegen ihres schon historischen Alters interessant und es hat etwas von Lissabon. An einer Bahn haben wir eine Reklame der Stadt Basel entdeckt. So sind es wohl Bahnen, die in anderen Städten ausgemustert wurden. Der ÖPNV ist sehr preiswert in Belgrad – für eine Wochenkarte haben wir weniger als acht Euro gezahlt. Was immer wieder vermisst und angemahnt wird, ist eine U-Bahn für eine Stadt dieser Größenordnung.
 

Das „Haus der Blumen“ ist das Mausoleum von Josip Broz Tito. Der Sarkophag aus Marmor soll jährlich von 20.000 Menschen besucht werden. Als wir dort waren, kamen zwei größere chinesische Reisegruppen. In den umliegenden Räumen gibt es eine Ausstellung zum Tode von Tito und auf einem Tisch liegen zersägte Bronzeporträts. Man weiß nicht genau, wie das zu interpretieren ist – vielleicht, dass er vom Sockel gestoßen und zerlegt wurde? Das wäre aber eine merkwürdige Aussage an diesem Ort.

Auf der Neustadtseite des Saveufers gibt es ein Gelände mit alten Gebäuden, die heute bewohnt werden, aber schon sehr verfallen sind. Zwischen den Häusern steht ein Gedenkstein mit der Inschrift: „Auf dem Gelände des alten Messegeländes errichtete die deutsche Gestapo ein Lager, in dem mithilfe lokaler Verräter über 40.000 Menschen aus allen Gebieten unseres Landes grausam gefoltert und getötet wurden.“ Auf einem der Häuser ist ein großes Transparent mit einem Foto und der Aufschrift „Altes Messe-Gedenkzentrum“ angebracht. Neben den Häusern wird gerade ein neues, großes Gedenkzentrum gebaut. Der Grundriss des mittleren Turmes bildet einen Davidstern.

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