Nach der Atomkatastrophe von Fukushima gründete sich im September 2011 die Metropolitan Coalition Against Nukes. Ein Netzwerk aus Gruppen und Einzelpersonen, die in Tokio Demonstrationen mit bis zu 150.000 Teilnehmenden organisierte. Doch das damalige Versprechen der Regierung, alle Kraftwerke nach und nach abzuschalten, wird durch den ein Jahr später gewählten Premier Shinzo Abe gebrochen. Bereits abgeschaltete Reaktoren werden wieder hochgefahren. Die Regierung spricht von einer notwendigen Stromversorgung durch Atomkraft von 20 Prozent.
Nicht nur deshalb gehen die Demonstrationen in Tokio weiter. Es ist Sonntag, 15 Uhr. Die Menschen versammeln sich am Diet Front Park, dem Parlamentsgebäude gegenüber. Auf den Tischen der Veranstalter gibt es Flugblätter, Informationen und bedruckte T-Shirts. Eine Band spielt, Reden werden gehalten. Mehrheitlich Reden von Frauen, die auch die Mehrzahl der Demonstrant:innen bilden. Dabei viele ältere Frauen mit selbst gestalteten Transparenten.
Wir können nur die wenigen englischen Wörter lesen und sehen die in der ganzen Welt verbreitete Anti-AKW-Sonne. Manchmal geballte Fäuste und rote Sterne. Die Straße wird von nur wenigen Polizisten gesichert. Mit einem Sturm aufs Parlament ist hier nicht zu rechnen.
In Japan ist es nicht üblich, offen Kritik zu zeigen. Wenn Gruppen oder Einzelne dabei zu radikal werden, wird Abstand von ihnen genommen. Die Verbliebenen wollen mit Politiker:innen ins Gespräch kommen. Nur so hätten sie eine Chance, medial wahrgenommen zu werden. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich gegen Kernkraftwerke aus. Doch die der Atomlobby freundlich gesinnte Regierung wird immer wieder gewählt. Andere Themen und die Loyalität zum System scheinen wichtiger.