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Reisebericht Nordkorea | 2

April 2017

Haus der Freundschaft

Unser erster Ausflug führt ins nördlich gelegene Myohyang-Gebirge. Auf dem Programm stehen das Museum für Völkerfreundschaft und der buddhistische Poyhon-Tempel. Zurück in Pjöngjang besuchen wir eine Aufführung im Schülerpalast bevor wir die abendliche Stadt zu Fuß erkunden.

Der Blick über die Stadt aus unserem Hotelzimmer ist fantastisch. Viel moderner, als ich erwartete und statt Grau in Grau eher Rosé in Türkis. Über der Stadt liegt Nebel. Ist es regnerisch oder liegt es daran, dass es noch so früh ist? Wir sollen das Hotel bereits um halb acht in Richtung Myohyang-Gebirge verlassen und müssen vorher noch in das 43 Stockwerke tiefer gelegene Frühstücksrestaurant mit einem Fahrstuhl, der so seine Zeit braucht. 

Außer der Tatsache, dass es überhaupt etwas Besonderes ist, nach Nordkorea zu reisen, wird unsere Reise nicht besonders spektakulär sein. Wir werden die Orte besuchen, die allen Besucher*innen präsentiert werden. Speziell ist unsere kleine Gruppe und die Offenheit unseres Reiseleiters.

Als wir draußen sind, sehen wir, dass es in der Nacht geregnet hat und Pjöngjang voller Pfützen ist, neben denen die Menschen zur Arbeit gehen.
Wie unterscheidet sich dieses Bild von anderen Städten? Der Autoverkehr ist sichtlich weniger und die Menschen gehen verhältnismäßig schnell. Es fehlen die Flaneure, die kleinen Stände am Straßenrand und das Schwätzchen der Nachbar*innen.

Vor einem öffentlichen Gebäude formiert sich eine Gruppe Frauen, uniformiert und rote Fahnen schwenkend. Song San sagt, dass dies eine Brigade ist, die die Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit begleitet. Durch derartige Aufmärsche wird gewährleistet, dass alle Menschen einen Arbeitsplatz haben. Für die Bevölkerung Nordkoreas äußerst wichtig, da sie nur mit einer Arbeitsbescheinigung berechtigt sind, Lebensmittelscheine zu beziehen.

Wir verlassen Pjöngjang Richtung Norden

Auf dem Weg aus der Stadt passieren wir den Friedhof von Pjöngjang. Leider haben wir keine Zeit, diesen zu besichtigen. Unser Besuchsprogramm ist eng getaktet und wir können nur etwas einbauen, indem wir auf Geplantes verzichten.

In unserem kleinen Bus hat sich jede*r spontan einen Lieblingsplatz gesucht. Für Ye Jin ist es nicht einfach mit unserer Gruppe. Sie spricht zwar gut Englisch, aber überhaupt kein Deutsch. Da wir uns aber untereinander und mit Song San nur auf Deutsch unterhalten und zeitweise auch intensiv diskutieren, ist es für sie nicht möglich, teilzuhaben. Da sie eher die Aufgabe der Aufpasserin hat – sie achtet etwa darauf, dass keine*r von uns nach dem Aussteigen eigene Wege einschlägt – ist es vielleicht ganz gut, dass sie unsere Gespräche nicht versteht. Christian bemüht sich um sie und führt öfter als wir anderen Gespräche auf Englisch mit ihr.

Neben Ye Sin und Song San haben wir zusätzlich einen Fahrer, dessen Name ich nicht weiß. Es ist sein Job, uns an den richtigen Ort zu bringen und ihm ist es sichtlich egal, wen er transportiert.
Der Fahrer ist bemüht, die Schlaglöcher auf der Autobahn zu umfahren. So kurvt der Wagen manchmal extreme Schlenker oder er landet nach der geschickten Umrundung eines Loches mitten in einem Folgeloch, sodass wir alle an das Dach des Busses hüpfen.
Die Straße ist voll mit Schlaglöchern, die nur sporadisch ausgebessert werden. Wir sehen eine Gruppe Arbeiter, die ohne Maschinen dabei ist, die Löcher im Asphalt zu flicken. Da es weiterhin regnet, tragen einige einen Regenschutz, der allerdings nur aus einer dünnen Plastikfolie besteht. 

Ich schaue nach draußen, folge mit dem Blick den an der Scheibe rinnenden Tropfen und wische gelegentlich die beschlagene Scheibe ab, um weiter nach draußen blicken zu können. Immer wieder gehen Menschen die Straße entlang oder sitzen am Rand, um auf einen Bus oder eine andere Mitfahrgelegenheit zu warten. 

Maike und Ralf sind in Gespräche mit Song San vertieft. Sie wollen nicht den allgemein vorhandenen Vorurteilen Raum geben, sondern durch die eigene Anschauung und durch Erklärungen verstehen und das Land kennen lernen. Maike war in der DDR aufgewachsen und durch ihre Sozialisation mit den Strukturen eines sozialistischen Staates vertrauter als wir.

Das Myohyang-Gebirge liegt etwa 150 km nördlich von Pjöngjang. Wir brauchen drei Stunden, wohl auch, da wir durch das Umfahren der Schlaglöcher nahezu die doppelte Strecke zurücklegen.
Das Gebiet zählt zu den fünf heiligen Gebirgen Koreas. Hier befindet sich eine große buddhistische Tempelanlage sowie die Feundschaftsausstellung – ein Muss für alle Besucher*innen.

Unterirdische Hallen als Museum für Völkerfreundschaft

Als wir uns der Eingangspagode der Freundschaftsausstellung nähern, wird dort gerade eine Gruppe junger Soldaten begrüßt. Die Männer sind insgesamt klein und schmächtig und wirken in ihren Uniformen eher wie Jungen. Vor unserer Reise las ich von der Unter- bzw. Mangelernährung. Diese soll behoben sein, doch gerade in ländlichen Gebieten war es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Hungersnöten gekommen. Die Soldaten machen den Eindruck, als ob sie während ihrer Entwicklung dieser Mangelernährung ausgesetzt waren.

Das Museum für Völkerfreundschaft, wie die Freundschaftsausstellung offiziell heißt, ist ein Phänomen. In großen, unterirdischen Sälen und Gängen – es wird davon gesprochen, dass es über 50.000 Quadratmeter sind – lagern in gläsernen Schränken und Vitrinen Geschenke, die den Kims gemacht wurden. Das voluminöste Geschenk, dass wir auf unserer Führung sehen, ist ein Flugzeug in einer gesonderten Halle. Wie bei einem Buddelschiff fragt man sich, wie dies Flugzeug in die unterirdische Halle gekommen ist, da der einzige Zugang eine normale Tür ist.

In den Vitrinen liegt neben den Präsenten von Staatsoberhäuptern anderer Länder viel Kleinkram. Song San erzähle uns, dass jeder Mensch auf der Welt den nordkoreanischen Führern ein Geschenk machen könne und es möglich ist, dass dieses dann hier präsentiert wird.
Die Botschaft ist eindeutig. Wir Besucher*innen sollen sehen, wie die Führer und Nordkorea von der Welt verehrt werden: Seht, wir haben überall Freunde, die uns durch Geschenke ihre Anerkennung ausdrücken.

Leider gibt es von unserem Besuch keine Fotos, denn das Fotografieren ist strengstens verboten. Am Eingang müssen alle Kameras und Handys abgegeben werden.
Ein Höhepunkt der Tour durch die unterirdischen Gelasse sind Hallen mit den Wachsfiguren des Führers Kim Il Sung und dessen Frau Kim Jong Suk. Die Besucher*innen werden angehalten, sich respektvoll zu verhalten und sich – in einer Linie stehend – vor den Figuren zu verneigen.
Zum Abschluss unseres Rundganges werden wir in einen Andenkenladen geleitet. Hier dürfen wir mit unseren zurück erhaltenen Kameras wieder fotografieren. Zwischen den Andenken stehen die Mitarbeiterinnen in ihrer traditionellen Tracht. Wie bei Besuchen von Einrichtungen in Nordkorea üblich, sollen auch wir uns in ein Gästebuch eintragen. Ralf übernimmt diese Aufgabe. Neben den deutschen Text schreibt Song San die koreanische Übersetzung.

Kaum Mönche im buddhistischen Poyhon-Tempel

Nach der Freundschaftsausstellung besuchen wir den buddhistischen Poyhon-Tempel. Obwohl Religion in Nordkorea kaum eine Rolle spielt, garantiert die Verfassung Religionsfreiheit – wenn auch nur in dem Maß, „wie diese die Ordnung des Landes nicht gefährdet“. Laut Regierungsinformation sollen 0,2 % der Bevölkerung religiös sein, darunter Buddhisten, Christen und die Anhänger der (nord- und süd-) koreanischen Religion Cheondogyo, einer Glaubensgemeinschaft, die auf einen Absolutsheitsanspruch verzichtet und Aspekte unterschiedlicher Religionen in sich vereint.

Auf der großen Anlage des buddhistischen Tempels sind vereinzelt Mönche zu sehen, insgesamt wirkt es aber eher wie ein Freilichtmuseum. Die vor 1000 Jahren gebauten Tempel wurden rekonstruiert, nachdem sie im Koreakrieg zerstört worden waren.
Wir gucken uns in den Tempeln um und Song San bietet uns an, ein Räucherstäbchen vor der Buddhastatue zu entzünden. Da sich aber keine*r von uns mit den Riten auskennt, verzichteten wir.

Ohne Anhalter zurück nach Pjöngjang

Der Regen hörte noch immer nicht auf. Zwar gibt es zwischenzeitliche Pausen, doch die Wege sind nass und schlammig, sodass wir auf die geplante Besichtigung eines Wasserfalls verzichten. Song San und Ye Jin bemühen sich via Handy um ein Ersatzprogramm in Pjöngjang.

Die Rückfahrt dauert wieder drei Stunden. Die am Straßenrand Wartenden erheben sich manchmal und signalisieren mit erhobenen Händen, dass sie mitfahren wollen. Sie denken sicher, dass unser Bus der öffentliche ist und sie blicken entsprechend enttäuscht, als wir an ihnen vorbei fahren.
Die Frage an Song San, ob wir nicht Menschen mitnehmen könnten, da wir doch Platz haben, muss dieser ablehnen: nein, das ist nicht möglich.

Als wir an Soldaten vorbei fahren, kam das Gespräch auf die Einheit, die wir vor der Freundschaftsausstellung gesehen hatten. Das Leben als Soldat ist besonders für junge Männer auf dem Land eine gute und zudem hochgeschätzte Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Oft ist es sogar die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt.

Song San erzählt, dass es eine Wehrpflicht gibt, allerdings mit Ausnahmen. So war er nicht beim Militär, sondern konnte durch sein Studium der Nation auf andere Weise dienen. Das konfuzianische Weltbild, nach dem alle ihren bestimmten Platz im Leben haben und an dieser Stelle für das Wohl der Gemeinschaft sorgen, war Grundlage eines Denkens, dass dem koreanischen Sozialismus vorausgegangen war und dieses prägte.

Perfektion im Schülerpalast Mangyongdae

In Pjöngjang sind für die morgigen Feierlichkeiten zum 105. Geburtstag des Staatsgründers viele Straßen gesperrt. Ye Jin verhandelt geschickt mit den Soldaten und Polizisten und so öffnet sich manche Schranke für uns. Wir müssen aber Umwege in Kauf nehmen und es dauert eine Weile, bis wir an unserem Ziel, dem Schülerpalast Mangyongdae, ankommen. Dort werden wir in eine der vorderen Reihen gesetzt um dem Spektakel zu folgen.

Der Schülerpalast war eingerichtet worden, um Kindern und Jugendlichen eine nachmittägliche Beschäftigung außerhalb des schulischen Lehrplans zu bieten. Die Perfektion der Darbietung geht aber weit über die Präsentation einer nachmittäglichen Beschäftigung hinaus. Gesang, Musik und Tanz sind zu einer Choreografie vereint, die an jedem Musiktheater bestehen könnte. Am ehesten berührt es mich allerdings, wenn doch eine kleine Unsicherheit zu spüren ist.

Es scheint doch ein Drill, dem die jungen Menschen ausgesetzt sind, oder, wenn man es positiver ausdrücken möchte, eine Begabtenförderung. Für mich bleibt ein zwiespältiger Eindruck: die Hochachtung vor den Leistungen verbunden mit einer Ahnung, wie viel Tränen wohl geflossen sind, um das zu erreichen.

Zum Ende der Aufführung gehen einzelne Kinder zu den Ehrengästen in der ersten Reihe, um diese zum Tanz aufzufordern. Den Gästen ist es zunächst unangenehm, sie lassen sich aber bitten und drehen sich dann mit den Kindern zur Musik.
Als wir aus dem Schülerpalast kommen, dämmert es bereits. Vor dem Eingang warten Mercedes-Limousinen mit verdunkelten Scheiben und laufendem Motor, um die Ehrengäste abzuholen. Wir gehören nicht dazu. Unser Bus wartet in gebührendem Abstand.

Der Fahrer fährt uns zum Abendessen. Neben dem Frühstück im Hotel werden uns täglich zwei Mahlzeiten in stets wechselnden Restaurants präsentiert. Das Essen ist vorzüglich und immer mehr, als wir essen können. Der Tisch wird mit kleinen Tellern oder Schüsseln vollgestellt und oft fehlt der Platz, alles unterzubringen. Wenn wir fast satt sind, heißt es, die Vorspeisen werden nun abgeräumt und der Hauptgang folgt. Also lernen wir, auch die Vorspeisen halb gegessen zurückgehen zu lassen. Zum Essen gibt es Wasser, Tee und koreanisches Bier. Die Brauerei Taedonggang, die in einem Vorort Pjöngjangs liegt, produziert ein sehr schmackhaftes Bier.

Der Überfluss, der uns geboten wird, ist etwas beschämend, da die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln lange Zeit ein Problem war oder immer noch ist. Noch heute ist Übergewicht – abgesehen vom Führer – kein erkennbares Thema. Uns wird aber vermittelt, dass es keinen Mangel mehr gibt.

Ein abendlicher Rundgang zum Chuch’e-Turm

Nach dem Essen fahren wir durch das abendliche Pjöngjang. Seit einer Stunde ist die Sonne untergegangen, Straßen und Häuser sind beleuchtet und Autos fahren durch die nächtliche Stadt.
Als unser Fahrer am Straßenrand hält, stiegen wir aus und gehen zu Fuß weiter. So werden wir Teil des Alltags der nordkoreanischen Hauptstadt an einem Freitagabend, Mitte April, 20.00 Uhr.
Wir kommen an einen Platz, auf dem der Turm steht, den ich bereits gestern vom Hotelzimmer aus gesehen hatte. An der Spitze leuchtet in 170 Metern Höhe eine Fackel aus rotem Glas.

Der Chuch’e-Turm ist das Zeichen einer Ideologie, die vom ersten Präsidenten Kim Jong Il entwickelt wurde. Inhalt dieser Ideologie ist eine Abgrenzung Nordkoreas vom Marxismus-Leninismus. Sie stellt die Interessen der eigenen Nation über die der internationalen kommunistischen Bewegung. Die drei Prinzipien der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Souveränität sollen die Revolution vorantreiben – geleitet von der Partei und dem Führer.

Als wir zum Hotel zurück fahren, sehen wir auf der anderen Flussseite die Skyline von Pjöngjang. Hatte die Ideologie Erfolg und gibt es einen wirtschaftlichen Erfolg, der im Westen nicht thematisiert wird? Die Hochhäuser vermitteln diesen Eindruck.

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