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Reisebericht Nordkorea | 6

April 2017

Internationales Kinderferienlager

Am Morgen besuchen wir das Internationale Kinderferienlager Songdowon in einem Bezirk von Wonsan. Vor der Rückfahrt nach Pjöngjang gibt es ein Konzert in der Landwirtschaftsuniversität. In Pjöngjang fahren wir zum Mausoleum des Königs Tongmyong und zum internationalen Buchladen.

Das Internationale Kinderferienlager bietet Kindern alles an Aktivitäten, was ihr Herz begehrt: professionelle Sportplätze und -hallen, eine Schwimmhalle, einen See mit riesiger Rutschbahn und einen Zugang zum Meer mit privatem Strand, ein begehbares Aquarium, einen Zoo und ein großes, bewaldetes Außengelände. Es gibt Zimmer mit Fernsehanschluss, Computer-Arbeitsplätze, eine Bibliothek und Ateliers. Für vier Wochen wird den Acht- bis Vierzehnjährigen der Himmel auf Erden nicht nur versprochen. Das Ferienlager wurde 1960 gegründet und 2014 aufwendig modernisiert.

Es regnet erneut. Allerdings ist es kein Sprühregen, wie gestern Morgen, es regnet richtig, Bindfäden. Ich krieche unter den Regenschirm von Ye Jin, um vom Auto zum zentralen Haus und später von dort zu den verschiedenen Einrichtungen zu kommen.
Im Vorbeilaufen sehen wir, dass auch hier eine bronzene Statue mit Kim Il Sung und Kim Jong Il steht. Hier sind es  aber keine allein stehende Figuren, sondern sie sind von Kindern umgeben. Neben koreanischen bzw. asiatischen auch von Kindern mit europäischem und afrikanischem Aussehen. Die Internationalität wird betont.

Auf einer großen Tafel in Form eines Fisches gibt es einen Geländeplan. Die Beschriftungen sind neben koreanisch auf englisch und russisch. Es soll allerdings zunehmend Probleme mit den Besucherzahlen von Kindergruppen aus dem Ausland geben. Neben Chinesen kamen in der Vergangenheit öfter Gruppen aus der Mongolei, Russland, Vietnam und aus Tansania. Doch selbst die chinesischen Schüler*innen kommen nicht mehr in der Anzahl wie früher. Da das Camp aber als Internationales Ferienlager konzipiert ist und diesem Anspruch auch weiterhin gerecht werden soll, werben die Betreiber*innen verstärkt im Ausland, um die Betten zu füllen. Es ist schade für die Einrichtung, da sie wirklich sehr viel bietet und Nordkorea helfen kann, sich zu öffnen.

Im Haupthaus besichtigen wir die Schlafzimmer. Je fünf Mädchen bzw. Jungen wohnen auf einem Zimmer. Jede*r hat neben dem Bett einen kleinen Schreibtisch und im vorderen Bereich einen eigenen Kleiderschrank. Zur gemeinsamen Nutzung gibt es je Zimmer einen Flachbildfernseher. Das die Zimmer gerade bewohnt sind, können wir nur daran erkennen, dass unter jedem Kleiderschrank ein Rucksack steht. Ansonsten sind die Zimmer so sauber und aufgeräumt, dass sie unbewohnt wirken.

Die gesamte Einrichtung des Kinderferienlagers ist kindgerecht gestaltet. Ein Kiosk könnte gut Teil einer Disney-Verfilmung sein und die Flure sind mit Comikfiguren dekoriert, die bekannte Disney-Figuren darstellen oder zumindest an diese erinnern. Später lese ich, dass es in Nordkorea viele talentierte Comiczeichner*innen gibt, die für internationale Konzerne arbeiten. Die Arbeitskräfte Nordkoreas sind gut ausgebildet und dabei preiswert, was sie für westliche Konzerne interessant macht und für die eigene Regierung Devisen ins Land schafft. Insofern ist der Weg zu Disney nicht weit.

Auch die überall im Haus angesiedelten Computer-Arbeitsplätze haben etwas Disneyhaftes. Sie sind das passende Interieur eines modernen Kindermärchens. In seinen besseren Tagen hätte Jonny Depp hier als Akteur auftreten können: Alice im Wunderland oder Charlie und die Schokoladenfabrik. Entspricht das wirklich den Bedürfnissen von Kindern oder ist es das, von dem die Erwachsenen meinen, dass es Kindern gefallen wird? Diese Kinderwelt passt zum Auftreten des Marschalls Kim Jong Un, wenn er sich mit Kindern umgibt.

Die Kinder, die wir an den Computer-Arbeitsplätzen sehen, spielen strategische Kriegsspiele. Entspricht auch das den Vorstellungen des Marschalls? Am Ende eines Ganges gelangen wir in einen Raum, in dem nur noch Krieg gespielt wird. Der Raum ist voller Kinder, die ihre virtuellen Feinde abschießen.

Wir sind doch etwas schockiert, diese Freizeitgestaltung in einem Internationalen Sommercamp vorzufinden. Und wir sind überrascht, dass uns dieser Raum überhaupt gezeigt wird. Sicher ist den Organisatoren unserer Reise bewusst, dass dies nicht unseren gängigen Erziehungsvorstellungen entspricht. Song San sagt dazu, dass die Kinder hier – anders als in westlich orientierten Ländern – sonst nie an solchen Spielen teilhaben würden, da sie gar nicht die Möglichkeit dazu hätten. Insofern ist es für sie eine Ausnahmesituation und der diesbezügliche Spieltrieb kann befriedigt werden. Bei uns würden Kinder über Jahre diesen Spielen ausgesetzt sein und darüber empört sich niemand. Es ist natürlich ein Argument, aber rechtfertigt es den Einsatz von Kriegsspielen in der Erziehung? Man kann auch denken, dass dieses straff organisierte Camp auf den Militärdienst vorbereitet und das Kriegsspiele ein wichtiges Element dieser Vorbereitung sind. Das Gute in diesem Zusammenhang ist sicher, dass das Spielen der Kinder öffentlich stattfindet.

Wir kommen zur Kochgruppe und fühlen uns hier weitaus besser aufgehoben. Die Mädchen und Jungen in ihren geschlechtsspezifischen rosa und blauen Trainingsanzügen sitzen in einem Raum vor einem Bildschirm, um sich dort die Zubereitung einer Speise erklären zu lassen.

Nach der Sendung gehen die Kinder zur Küche, nehmen sich eine Schürze und eine Kochmütze und setzen das eben Erfahrene mit Hilfe eines Kochs um. Da sich die Schüler*innen keine Notizen machen, ist es entweder ein einfaches Gericht oder sie haben ein gutes Gedächtnis. Neben der Küche befindet sich der große Speisesaal.

Für Kinder, die während des Campaufenthaltes Geburtstag haben, gibt es einen besonderen Geburtstagsraum. Hier können sie mit ihren Freund*innen feiern. Im Geburtstagsraum gibt es Tische, an denen auch eine ganze Klasse sitzen und feiern könnte. Die Bühne ist für Darbietungen mit Klavier und Musikanlage nebst Bildschirm ausgestattet. Und sie singen hier wie überall auf der Welt: Happy Birthday to you!

Eine Fotoausstellung zeigt die Führer bei ihren Besuchen im Ferienlager. Es wird immer wieder deutlich, wie sehr sich die Kims um Kinder bemühen und wie wichtig die Darstellung im Kreis von fröhlichen Kindern für die Außendarstellung ist. Besonders der jetzige Führer Kim Jong Un drückt auf den Fotos eine kindliche Freude aus, die daran zweifeln lässt, dass solch ein Mensch böse sein und niederträchtige Gedanken haben kann.
Eine andere Ausstellung zeigt Zeichnungen, die von Schüler*innen angefertigt wurden und hier nach Qualitätsmerkmalen ausgestellt und ausgezeichnet werden.

In der Aula proben Gruppen für eine Aufführung. Alle Kinder tragen das rote Halstuch der Kinderorganisation der Partei. Ist es für die Aufführung notwendig oder gehört dies zur Schuluniform? Bei einer Klasse, die wir am nächsten Tag im Unterricht besuchen, sehen wir, dass nur einige der Schüler*innen die Uniform und das Halstuch tragen. In einem Büchlein mit Aussagen von Kim Jong Un ist zu lesen: „Das rote Halstuch der Kinderorganisation ist von der antijapanischen Kindervereinigung überliefert und ein Teilstück der roten Flagge der Partei der Arbeit Koreas. (…) Während die Volksarmee und der Jugendverband der 

Vortrupp der Songun-Revolution sind, ist die Kinderorganisation Koreas ihr Reservetrupp.“

Als wir vom zentralen Gebäude zu den Sporthallen gehen, kommen wir an einer riesigen Rutschbahn vorbei. Es ist die größte Wasserrutschbahn, die ich je gesehen habe und es macht bestimmt großen Spaß, hier herunter zu rutschen. Da es noch immer stark regnet, werfen wir nur im Vorübergehen einen Blick auf die Anlage.

Der Regen gestattet uns auch nur einen schnellen Blick auf die Sportplätze. Diese sind sehr gepflegt, der Rasen ohne Makel und alles wirkt, als ob es gerade fertiggestellt wurde. Trotz des Regens kommen uns Gruppen von Schüler*innen ohne Regenschutz sehr geordnet und diszipliniert entgegen. Als Gruppe gehen sie von einem Haus zum anderen. Welche Disziplin wird den Kindern hier abverlangt – ist dies ein besonderes Understatement des Ferienlagers oder der nordkoreanischen Gesellschaft insgesamt?

Die Bahnen eines Hallenschwimmbades sind wohl 50 Meter lang und daher für einen groß angelegten Schwimmwettbewerb geeignet. Überhaupt hat die Halle eher einen Wettbewerbscharakter und ist weniger für das Spaßbaden angelegt, wie das Außenschwimmbecken mit der Wasserrutschbahn.

In der dem Hallenbad gegenüber liegenden Sporthalle findet gerade ein Volleyballspiel oder -turnier statt. Bei den Spielern – es sind nur Jungen – fällt auf, dass sie keine uniforme Sportkleidung tragen, was man nun gerade hier bei einem Wettbewerb erwartet hätte. Auf den Tribünen sitzen Gruppen von Schüler*innen, die ihrem Team bei einem Punktgewinn zujubeln. Trainer*innen stehen vor den Gruppen und geben die Kommandos für die der Situation angemessene Fanbekundung.

Wir kriechen wieder unter die Regenschirme und gehen zu einem weiteren Haus, in dem ein Aquarium untergebracht ist. Auf der oberen Etage gehen wir an den Aquarien entlang, während wir im Untergeschoss unter den Aquarien hindurch gehen und die Fische und andere im Wasser lebende Tiere über uns hinweg schwimmen. Wir sehen viele Meerestiere, darunter Riesenschildkröten und Haie. Es wirklich erstaunlich, was hier geboten wird.
Als wir weiter gehen, sehen wir von Weitem ein Haus, das zu einem Zoo gehört. Den Zoo besichtigen wir allerdings nicht mehr.

Wir gehen zurück zum Auto und sind insgesamt sehr angetan von dem Camp. Es wird deutlich, wie viel hier nicht nur an finanziellen Mitteln investiert wird und es ist dem Ferienlager zu gönnen, dass es weiterhin ein Ort ist, an dem sich Schüler*innen aus verschiedensten Ecken der Welt begegnen können.
Aus dem Auto werfen wir noch einen Blick zurück und sehen von hier, dass das Camp an einem großen See liegt. Es regnet ununterbrochen.

Bei der anschließenden Fahrt durch Wonsan sehen wir rechts und links der Straße Gruppen von Frauen stehen, beschützt von Regenschirmen. Song San erzählt uns, dass dies Mütter sind, die auf die Rückkehr ihrer Söhne und Töchter vom Militärdienst warten. Diese kämen mit Militärfahrzeugen in die Stadt und würden von den Müttern in Empfang genommen.

Abschließend besuchten wir die Landwirtschaftsuniversität von Wonsan. Es gehört zum Besuchsprogramm, doch als wir die eher öden Flure entlang laufen, frage ich mich, was wir dort sollen. Die Universität soll sehr fortschrittlich sein und interessante Labore haben. Doch diese bleiben uns verschlossen.

Die Frau, die uns durch die Flure führt und einen kleinen Vortrag hält, ist sehr humorig. Leider können wir dies nur aus Ihrer Mimik herauslesen, da bei Song Sans sicher exzellenter Übersetzung des Vortrages der Humor nicht mitschwingt.


Wir hören von der Wichtigkeit der Forschung für die Entwicklung der Landwirtschaft des Landes. Getreide und Gemüsearten werden in den Laboren veredelt und Schädlingsbekämpfungen entwickelt. Um die Universität gäbe es ein großes Außengelände mit über 700 Baumarten und Fußwege mit üppig gestalteten Blumenbeeten. Diese können wir, wohl auch wegen des immer noch anhaltenden Regens, nicht sehen.

Jede Einrichtung, die wir besichtigen, hat einen Raum, der Bilder davon zeigt, wie die Führer die Einrichtung besuchen. Außerdem werden in diesen Räumen Mitarbeiter*innen für Verdienste geehrt und Auszeichnungen präsentiert, die die Einrichtung erhielt.
In einen solchen Raum werden wir auch in der Landwirtschaftsuniversität geführt. Als unsere Führerin etwas über die Bilder und Texte erzählen will, macht sie eine Geste, dass wir uns in einer Linie vor ihr aufstellen sollen. Da dies vor Bildern der beiden Kims passiert, denken wir natürlich, dass wir uns wieder verbeugen sollten. Wir sind bereits gut konditioniert und setzen schon zur Verbeugung an, als Ye Jin und Song San anfangen zu lachen. Nein, hier müssen wir uns nicht verbeugen.

Während unseres Rundganges hören wir immer wieder Töne von Blasinstrumenten. Als wir fragen, was das für Musik ist, sagt uns die Führerin, dass Student*innen für eine Aufführung proben. Unsere Frage, ob wir uns das angucken können, wurde zunächst verneint. Nach etwas Drängen erkundigt sich unsere Führerin dann doch im Saal und wir können in der Aula Platz nehmen – auf extrem harten und unbequemen Stühlen. Die Student*innen unterbrechen ihre Probe und präsentieren uns ein kleines, absolut perfektes und stimmungsvolles Konzert. Es ist erstaunlich, dass Student*innen des Agrarwesens derart perfekt spielen und ihre Instrumente beherrschen. Wir klatschen enthusiastisch und die Musiker*innen freuen sich sehr über unsere Anerkennung. Es ist ein sehr netter Abschluss des Besuches der Universität und ein stimmungsvoller Abschied von Wonsan.

Pünktlich zur Heimfahrt Richtung Pjöngjang hört es auf zu regnen, der blaue Himmel zeigt sich und einzelne Sonnenstrahlen schaffen es auf die Erde. Angeregt durch die Besuche der landwirtschaftlichen Kooperative und der Landwirtschaftsuniversität fällt mein Blick während der Rückfahrt gezielter auf die Felder und deren Bearbeitung links und rechts der Autobahn.

Die Traktoren, die wir auf den Feldern sehen, tun ihren Dienst, wenn sie auch augenscheinlich älteren Datums sind. Für viele landwirtschaftliche Betriebe ist es sicher eine enorme Erleichterung, diese motorisierte Technik zu haben. Neben der Bewirtschaftung mit den Traktoren können wir viele Felder sehen, auf denen mit Ochsengespannen gearbeitet wird. Für ein Land, das Probleme hat, seine Bevölkerung ausreichend zu ernähren und das die Möglichkeiten hat, für seine Kinder ein Ferienlager zu schaffen, dem es an nichts fehlt, ist es erstaunlich, dass heutzutage noch diese mühsame Bewirtschaftung der Felder praktiziert wird. Verständlicher wird es mit dem Hinweis, dass für die Traktoren und andere Maschinen oft nicht genug Treibstoff vorhanden ist. Der Treibstoff, für Nordkorea eine Mangelware, wird in den Fabriken gebraucht.

Was wir in diesem Zusammenhang auch sehen, sind Felder, auf denen weder Traktoren noch Ochsen den Dienst übernehmen, sondern größere Gruppen von Menschen, die hier gemeinsam arbeiten. Mit unserer Sicht auf eine ökologisch ausgewogene Landwirtschaft kann man diesem Bild Sympathien entgegen bringen, die es aber wahrscheinlich nicht verdient.

Ein weiteres Thema ist die Tierhaltung. In meinem bisherigen Denken gab es in sozialistischen Staaten Massentierhaltungen. Ich hatte die Vorstellung von großen Ställen voller Hühner, Rinder und Schweinen. Das, was wir sehen, zeigt das Gegenteil: einzelne Kühe, die gemächlich grasen, ein Ziegenhirte mit seiner Herde und ein Schäfer, der das Lamm seines Schafes behutsam über die Straße trägt. Vielleicht sind die großen Ställe abseits der Routen, die die Besucher*innen befahren? Uns zeigt sich auf jeden Fall eine tierische Idylle und damit ein Land, dass wie gemacht scheint für den Tourismus.

Wieder sehen wir kleinere Ortschaften aus der Perspektive des auf der Autobahn vorbeifahrenden Busses. Es wäre so interessant, zu wissen, wie es diesen Menschen abseits der Großstadt geht. Wie leben sie ihr Leben, wie zufrieden oder unzufrieden sind sie und können sie sich mit dem Regime arrangieren, waren sie vielleicht glühende Anhänger*innen oder stellt sich diese Frage gar nicht? Für das Verständnis und die Akzeptanz dieses Staates wird es notwendig sein, dass alle Bereiche zugänglich werden und die Bevölkerung sich frei äußern kann.

Manchmal sehen wir Menschen abseits der Straße. Menschen, auf dem Weg zur Arbeit oder zu Verwandten, um Dinge des Alltags zu erledigen oder was auch sie immer vorhaben. Die Häuser, in denen sie wohnen, entsprechen oft nicht den gängigen Vorstellungen einer dörflichen Struktur. Die mehrstöckigen Häuser passen eher in eine Stadt. Die Gebäude sind wahrscheinlich dem notwendigen Wohnraum geschuldet, der nach der völligen Zerstörung im Koreakrieg Ende der 50ger Jahre überall geschaffen werden musste. Reste alter dörflicher Bebauung sind kaum zu sehen.

Auf der Baustelle einer Kiesgrube warten Menschen. Warten sie auf den Bus oder eine andere Mitfahrgelegenheit? Wahrscheinlich. Andere Menschen scheinen dort zu arbeiten. Zwei stehen am Rand einer Aufschüttung von Kies oder Sand und sehen so aus, als ob sie gerade ein Geschäft abschließen. Ein anderer steht oben auf dem Förderband und schiebt dort etwas entlang.
Wie viele Bilder entstand auch dieses aus dem vorbeifahrenden Bus in Sekundenbruchteilen zwischen dem visuellen Erfassen der Situation und dem Auslösen der Kamera. Zeit, ein Bild zu komponieren, gibt es in Nordkorea kaum. Dennoch sind Schnappschüsse wie dieser für mich gelungene Kompositionen und veranschaulichen eine Alltagssituation, die man nicht abbilden könnte, wenn den Dargestellten bewusst wäre, dass sie abgelichtet werden. Ein Phänomen der Straßenfotografie.

Auch unser Bus braucht mal Benzin und so bekommen wir das erste Mal auf unserer Tour eine Tankstelle zu sehen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass wir bisher weder am Rand der Autobahnen und Schnellstraßen noch innerhalb der Städte Tankstellen gesehen haben. Dies zeigt, wie wenig Autos vorhanden sind und das Tankstellen daher nicht überall erforderlich sind. Ein anderes Phänomen sind Autos mit Holzgasantrieb, die wir ab und zu sehen. Auf dem fotografierten Kleinlaster qualmt nicht etwa der Motor, sondern der Holzkohlevergaser, durch den der Verbrennungsmotor angetrieben wird. Diesen Holzgasantrieb gab es früher in vielen Ländern und meistens dann, wenn durch Kriegs- und Krisenzeiten die Versorgung mit Treibstoff nicht sichergestellt werden konnte.

Bevor wir in Pjöngjang eintreffen, besuchen wir etwa 25 Kilometer vor der Stadt das Mausoleum des Königs Tongmyong. Dieser König begründete das Reich Goguryeo, das von 277 vor bis 668 nach dem Beginn unserer Zeitrechnung bestand und das größte der drei koreanischen Reiche war. Ab dem Jahr 313 lag die Hauptstadt des Reiches Goguryeo auf dem Gebiet des heutigen Pjöngjang.

Die Menschen im antiken Korea glaubten an ein Leben nach dem Tod. Sie bauten für ihre Könige und andere wichtige Personen Hügelgräber und statteten diese mit aufwendigen Wandmalereien aus, die Geschichten über das Reich erzählen. Goguryeo war nach der Zeitenwende eines der mächtigsten Reiche Ostasiens. Uns ist es leider nicht möglich, die Wandmalereien zu besichtigen. Aufgrund der Malereien, deren historischer Bedeutung für Korea und dessen Einfluss auf andere Länder wurde das Grab 2004 durch die Unesco zum Welterbe erklärt.

Vor der Grabanlage liegt der buddhistische Tempel Chongrungsa. Hier wurden in alten Zeiten Trauerfeiern für den verstorbenen König abgehalten. Die heute zu besichtigende Tempelanlage ist ein Nachbau, der auf der Stelle errichtete wurde, auf der Archäologen 1974 den Grundstein der ursprünglichen Anlage entdeckten. Obwohl der Tempel heute nicht mehr genutzt wird, werden die Bauten des Tempels und die Grabanlage des Königs als Erbe des alten Korea gepflegt. Die Grabanlage mit den umliegenden Tempeln gehört zu den ältesten Sehenswürdigkeiten Pjöngjangs.

Es wird dunkel, als wir in Pjöngjang eintreffen. Wandbilder der verstorbenen Führer werden bestrahlt und die große Studienhalle des Volkes auf dem Kim-Il-Sung-Platz leuchte wie ein Palast, ein Palast des Volkes. Wir fahren zum Abendessen und anschließend in den internationalen Buchladen.

Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, was ein internationaler Buchladen in Pjöngjang sein könnte, ging aber eher davon aus, dass hier internationale Literatur verkauft würde. Da war es in meiner Vorstellung interessant zu sehen, welche Literatur hier angeboten wird und somit für die nordkoreanische Bevölkerung zugänglich ist. 

Der Buchladen hat aber eine ganz andere Ausrichtung. Die Schriften der Kim Dynastie werden hier in vielen Sprachen für die internationalen Gäste angeboten. Zudem gibt es Filme, Musik und Postkarten sowie Plakate und andere Andenken. Hier ist auch die englischsprachige Pjöngjang-Times erhältlich und wir sehen, dass Kim Jong Un auf wirklich jedem Titelblatt präsentiert wird.

Als wir die Buchhandlung verlassen und zum Hotel zurück fahren, ist es dunkel. Auf den Straßen ist kaum etwas los, nur ab und zu sehen wir einen Linienbus, der vereinzelte Menschen nach Hause bringt.
Eine Verkehrspolizisten verrichtet trotz der leeren Straßen unermüdlich ihren Dienst. Mit einer leuchtenden Warnweste steht sie am Rand der Straße und blickt mit der gleichen Intensität auf die leere Straße, als wenn dort ein Auto dem anderen folgen würde.

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