Oktober 2020
So lernen wir die Reinbeckhallen mit einer großen Fotoausstellung nationaler und internationaler Künstler*innen zum Thema Berlin 1945-2000 kennen. Und mit dem Besuch den dortigen Stadtteil Schöneweide. Eine Mischung aus (alter) Industrie, in die heute u.a. die Technische Uni eingezogen ist und einer angenehmen Wohnbebauung an der Spree. Am Abend mit romantischem Sonnenuntergang.
Auf dem jüdischen Friedhof Weissensee stehen ab und zu alte Bauwagen, die den Eindruck machen, als seien sie seit Jahrzehnten nicht betreten worden. Ein Blick durchs Fenster zeigt, dass es wohl die Aufenthaltsräume der Friedhofsmitarbeiter*innen waren oder immer noch sind. Sie scheinen sich ebenso der Natur hinzugeben wie die Grabstätten, die immer mehr überwuchern.
Am Mauerpark an der Bernauer Straße sind wir auf den Spuren von Ralfs Kindheit. Er lebte sein erstes Lebensjahr in der Strelitzer Straße Ecke Bernauer Straße und es war das Jahr, in dem die Mauer gebaut wurde. Da das Haus in den 1970er Jahren abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde (Mitte), haben wir in den dokumentierten Fotos nach einer Aufnahme gesucht, auf dem das Haus vor dem Abriss zu sehen ist. Wir fanden nur ein Foto, das einen kleinen Zipfel des Hauses zeigt (rechts vorne mit rotem Kreuz). Hier sieht man die unmittelbare Nähe zur Mauer.
Und wir besuchen weitere Ausstellungen (nicht nur) zum Monat der Fotografie: 1. eine Retrospektive von Michael Schmidt im Hamburger Bahnhof, 2. eine Installation von Andreas Mühe in der Kulturkirche St. Matthäus, 3. eine Retrospektive von Harald Hauswald in der C/O Berlin, 4. im (Martin, nicht Walter) Gropius Bau die sehr sehenswerte Ausstellung Masculinities – hier ein Foto von Rineke Dijkstra und 5. im Schwulen Museum die Ausstellung: Queere Bewegungen in Deutschland seit Stonewall. Auf einem Foto in der Ausstellung entdecken wir Ralf beim CSD in Bremen 1979, der erste in Deutschland überhaupt.
Bei unseren Streifzügen erkunden wir verschiedene Viertel, wie den Soldiener-Kiez im Wedding. Dort finden wir Klischees, wie die Eckkneipe und den Balkon mit Deutschland-Fähnchen, aber auch Veränderungen, wie die Hinterhof-Oase. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier der Chic vom Prenzlauer-Berg ausbreitet – der Kollwitzplatz ist nur zwei Kilometer entfernt. Uns fällt auf, dass auf der Straße nur noch wenige offensichtlich aus der Türkei stammenden Menschen zu sehen sind und fragen uns, ob sie assimiliert oder verdrängt sind.
Beim Beuch des Bundestages verdeutlicht sich ein Vorteil in diesen Corona-Zeiten: die Gruppen sind sehr klein und wir bekommen zu dritt eine fast zweistündige Führung. Wir erfahren, dass der Architekt des Umbaus, Norman Forster, einen eigenen Bundesadler entwickeln wollte. Das Parlament entschied sich aber dafür, die „fette Henne“ aus Bonn mitzunehmen und so blieb Forster nur, einen eigenen Entwurf auf der Rückseite zu realisieren. Und wir hören, dass der Adler 2,5 Tonnen wiegt und 60 m² groß ist. Auf den Fluren sehen immer wieder Schriften, die sowjetische Soldaten 1945 hinterlassen haben. Diese wurden mit dem Umbau frei gelegt und konserviert.